#2 - alleinsamkeit

Veröffentlicht am 30. August 2024 um 15:25

das krankenhaus ist schmerzlich vertraut. ich weiß, wie schnell sich die aufzugtüren schließen werden, wie lange die menschen im ambulanzsekretariat noch da sind, kenne jede der stationen - nicht nur die der psychiatrie. ich zucke kaum mit der wimper, wenn jemand den knopf für den vierten stock drückt, auch wenn ich erschaudere. 

"der weg ist ja bekannt", meint die sekretärin lächelnd. sie muss nicht nach meinem namen fragen, und schon gar nicht bei wem ich meinen termin habe. das einzige was sie wundert, ist die nicht eingelesene karte. ich sage etwas von "lange stationär" und sie nickt, als wäre das das normalste der welt - was es irgendwie wohl auch ist. 

die auf dem gang vorbeihuschenden gesichter grüßen mich mit namen, manche bleiben stehen und sprechen worte, in denen sie loben, lächeln, "da können sie so stolz auf sich sein" sagen. ich klopfe mir auf die schulter, weil die ergotherapeutin das sagt, und lächle. und für den bruchteil eines moments bin ich jemand. 

"ist auch kribbelnde vorfreude dabei?", wird man mich später fragen, und ich werde "manchmal" sagen und dabei schreien wollen. 

natürlich freue ich mich. natürlich werde ich das schaffen. natürlich gibt es auch gutes, was nur darauf wartet, gesehen zu werden. 

aber wer schaut nach mir?

irgendwann werde ich vor einem kaffee sitzen.

draußen pulst die sonne / der blick flackert / der kaffee ist bittersüß / mischt sich in die übelkeit / das flatternde herz

 

ich traue mich nicht mehr, den körper als meinen zu bezeichnen - von mir ist nichts übrig. 

ich bin ein schwarzes loch, sauge freundliche worte ein, nur um sie verschwinden zu lassen. wahrscheinlich funktioniert gravitation so nicht. ich denke an die l. sie könnte mir das bestimmt erklären - aber ich frage lieber nicht. ich würde es ohnehin nicht verstehen. 

auf den stromleitungen sammeln sich die vögel, die nach süden ziehen wollen. etwas in ihnen sagt ihnen, wo sie hin wollen, und sie sind niemals alleine. ohne ihren schwarm schaffen sie die reise nicht, und so tanzen sie, zusammen, einer sanften choreographie folgend, ohne jemals gegeneinander zu fliegen. ich werde richtung norden ziehen, das steht fest. es ist die falsche richtung um mich den zugvögeln anzuschließen - vielleicht muss ich es deswegen alleine tun. ich kann immerhin auch nicht fliegen. 

stattdessen muss ich zug fahren, und beobachte dabei menschen, die wissen wo sie hin müssen. sie scheinen ein ich zu haben. es springt mir aus jeder pore entgegen, als würde es aus ihrer haut quellen.

jemand sollte ihnen das sagen / sie schätzen es wahrscheinlich gar nicht wert

 

ich bin alleine, als ich in den bus steige, lasse mich vom zittern des motors unter mir beruhigen. immerhin er hat keine angst. meine oberfläche prickelt, und ich verklebe mit dem allein sein. 

die hitze brüllt / verbrennt gras haut lebensgrundlage / übrig bleiben die wespen / die am bahnhof nach flüssigkeit suchen und suchen und suchen und nicht finden

 

vielleicht sollte ich eine schüssel in den garten stellen - wenn schon ich leer bin, sollen wenigstens die tiere nicht aufgeben müssen. "eine gute tat am tag" ist ganz einfach, wenn die welt verdurstet. 

die frau reitlehrerin bedruckt kissen. sie hat stempel dafür, schafe, blumen, bäume, rot, gelb, blau. ich würde auch gerne etwas farbe kriegen - vielleicht wäre ich dann weniger allein, weniger einsam. 

aber es gibt keine menschenstempel / und ich bleibe alleinsam 

 

am ende kriege ich immerhin ein schafwollkissen, und die insekten einen kochlöffel im teller mit wasser.

 niemand soll ertrinken in guten entwicklungen / nicht so wie ich 

 

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