"nur bis die werte besser sind" - die geschichte einer krisenintervention #1

Veröffentlicht am 26. September 2024 um 10:37

 

triggerwarnung: in dieser reihe erzähle ich vom geschehen nach einem suizidversuch. dieser wird immer wieder implizit erwähnt werden. pass bitte auf dich auf. 

 

 

 

"nur bis die werte besser sind. ein zwei nächte", sagt die frau psychiaterin, und ihr blick ist fast mitleidig, "das muss jetzt einfach sein. zum einstellen und beobachten" sie sieht meine panik, und kann sie trotzdem nicht verändern. "kommen sie"

 

die tür klickt. ich setze mich vor den stützpunkt. jemand kommt. jemand redet viel. er ist nicht klar. ich auch nicht.

ich lebe im nebelland, tanze auf wolken, verirre mich in den schleiern - alles eintönig grau.

keiner schaut meine tasche durch. ich wüsste auch nicht was darin ist. bis auf den esel, den immer alle für ein schwein halten. ich denke an weiche nüstern, und beginne zu weinen.

 

die mutter bringt vollkommen unsinnige klamotten. niemand hält mich fest. ich beginne zu weinen.

"wir schauen morgen weiter. vielleicht ist es doch zeit, in alle richtungen zu denken", sagt der oberarzt. ich verlasse den raum und beginne zu weinen. 

schwester p. klebt mir neue ekg kleber. sie hat mich vor ein paar monaten angezeigt. ich lächle honigsüß, damit ich nicht anfange zu weinen. 

"es ist nicht schön dass sie hier sind, aber es ist so wunderschön sie lebendig zu sehen", sagt die kliniktherapeutin. ich lächle leise. mehr geht nicht. ihre augen huschen über mein gesicht. sobald sie weg ist beginne ich zu weinen. 

 

hier redet keiner, außer der, der immer redet, und der redet immer die gleichen dinge. ich male ein malen nach zahlen, die vorgaben vollkommen ignorierend. es wird ein bunter vogel. ich schicke ihn an zwei herzensmenschen. ich schreibe: so ist meine seele gerade. und meine damit: verquer. nicht ganz passend. ich bin erkennbar als mensch, aber nicht richtig. ich denke: ich schaffe das studium nicht. ich kann ja nichtmal umziehen. also beginne ich wieder zu weinen

 

später werde ich meine abendmedikation zwei stunden zu früh nehmen, und weiter weinen. jedes mal, wenn ich denke, da können keine tränen mehr sein, debke ich daran, wie ich im august wirklich dachte, ich würde nicht wiederkommen. dann weine ich wieder, vor scham, angst, schmerz. um mich herum wird es dunkel. ich mache kein licht an. meine tränen bleiben unsichtbar in der sanften umarmung der nacht. 

die müdigkeit löst die todesangst heute zu spät ab. bis dahin weine ich, oder liege bewegungslos da, und versuche mir auszumalen, wie sich tot sein anfühlt. ich kann es natürlich nicht. ich spüre noch das ziehen eines katheters, der nicht mehr da ist. ich möchte mir die erinnerungen herausreißen wie die zugänge. ich weine nicht mehr. es piepst auch kein monitor. 

als ich einschlafe, ist streng genommen kliniktag zwei. immerhin weine ich nicht mehr. 

 

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